Unterwegs ankommen

Im Hotel abgestiegen. Das Zimmer aufgesucht. Den Koffer abgestellt. Aus dem Fenster geblickt. Angekommen.

Einem Gesprächspartner gegenüber gesessen. Zugehört und selbst geredet. Eine Forderung vorgetragen. „Okay“, sagt der Andere. Die Idee war angekommen.

Die Pole schmelzen. Das Ewige Eis war nur vorübergehend. Wenn auch für einige Jahrmillionen. Die Klimaveränderung ist im Norden angekommen.

Für die Flucht bleibt wenig Zeit. Nur was man tragen kann, wird so rasch wie möglich gepackt. Menschen fliehen ohne Ziel. Die Rebellen zünden die Hütten des Ortes an und töten alles, was sie an Lebendem finden. Der Krieg ist angekommen.

Die Diagnose: Krebs. Alter der Patientin: 46 Jahre, verheiratet, zwei Kinder. Prognose: viele Jahre weniger als andere, aber: wer weiß das schon. Perspektive: schon jetzt am Ende angekommen?

Ankommen. Wie inhaltsschwer dies Wort sein kann, zeigt sich an den kurz beschriebenen Szenen.

Ankommen bedeutet: es ist im Moment das Einzige, was wirklich ist. Es geht um das Da- sein im wahrhaftigsten Sinn. Eine Situation ist eingetreten, zu der man häufig eine ganz besondere Einstellung benötigt. Diese ist beinahe notwendig. Auch wenn sich gerade die Not, die sich evt. eingestellt hat, nicht sofort beseitigen oder wenden lässt.

Panta res. Alles fließt, ist Übergang. Ist wie das Leben in einem Haus, dessen Zimmer durchschritten werden, ja werden müssen, um woanders hin zu gelangen.

Das ganze Leben ist etwas Vorübergehendes, zum Tode hin führendes. Wir ahnen, dass wir sterben müssen und nehmen den Tod nicht ernst. Wenn er aber dann kommt, in welcher Form auch immer, scheint er unfassbar und unerwartet. Sagen wir.

Unterwegs ankommen. In welchem Stadium seines Lebens ein jeder, eine jede heute Abend ist: wer kann das schon wirklich für sich beurteilen? Natürlich kennen wir die Lebensphasen. Unsere eigenen bisher.

Wissen wir, was noch kommen wird? Tatsächlich?

Also: Ein Kind möchte älter werden, ein Jugendlicher ernstgenommen, eine Frau, ein Mann einen Beruf, haben, eine Wohnung, Arbeit, ein Zuhause, eine Heimat, auch zu allem ein gutes Gewissen.

Aber, es hat auch jede, jeder ihre/ seine Vergangenheit, mit falschen und richtigen Entscheidungen, Versprechungen, Fehlern, verpassten Zielen und nicht gelebten Ambitionen. Wie kommt es zum Abgleich zwischen dem, was sein sollte und sein könnte?

Wie kommt es dazu in der Politik? Was sind die Parteiprogramme des vergangenen Jahrhunderts wert, wenn in diesem Jahr vieles, fast alles über den Haufen geworfen wurde und Milliarden Euro hinterher?

Da sitzen oder stehen wir heute in dieser Kirche.

Ich sage: Mit viel Hoffnung auf Veränderung und bessere Zeiten. Und wir merken: So einfach ist das alles nicht. Wir haben schon so viel geglaubt. Und auch die Erfahrung gemacht: Dieses und jenes trägt nicht. Mit diesem und jenem wird nichts besser, geschweige denn, dass es damit gerechter in der Welt zuginge.

Wir kennen uns und ahnen, dass es auch, ehrlich, an uns liegt. Laufen wir nicht bestimmten Führern nach und erwarten von ihnen das Heil? Scheingrößen im Sinne des Wortes. Scheingrößen.

Wir setzen auf die falschen Helden oder Vorbilder, die kinolike und Bruce-Willis-like tatsächlich keine Leben retten können.

Wir erwarten vielleicht auch zu viel von jenen, die sich unterscheiden von denen, deren Reden und Taten wir satt haben?

Change, Änderung ist mehr als ein Wort. In diesem Jahr war der Ruf nicht nur in Amerika zu hören. Er wurde dort millionenfach skandiert: Wir wollen Veränderung, und zwar jetzt. Ich bin sehr gespannt, wohin Obama und seine Leute diese Welt führen werden.

Aber: Der Messias ist vor 2000 Jahren gekommen. Wir brauchen auf keinen neuen zu warten, weder auf Obama, nach auf Merkel, noch auf Medwedjew.

Ob sich viel ändert, auch wir können es beeinflussen.

Kein Problem wird gelöst, wenn wir träge darauf warten, dass Gott allein sich darum kümmert, meinte Martin Luther King. Er hat der Kraft Gottes vertraut, und er hat Jesus Christus als Beispiel vor uns gestellt, damit wir an ihm Zuversicht gewinnen, Mut schöpfen, Engagement erkennen und die Gegenwart Gottes durch unser Leben leben.

Wie geht das?

Zunächst: Richtig durchatmen. Einatmen, tief einatmen, den Atem anhalten und wieder ausatmen. Ganz ruhig werden. Immer wieder wiederholen.

Dann: Nachdenken: Wo bin ich gerade. Was ist mir in diesem Moment wichtig? Jetzt. Hier!

Wie lebe ich? Jetzt. Hier!

Was möchte ich in meinem Leben beibehalten?

Was soll auf jeden Fall sein? Wovon bin ich abhängig? Was kann ich ändern von dem, was war- hin zu dem, was sein könnte?

Weiter: Womit bin ich unzufrieden? Was macht mich glücklich? Wirklich glücklich? Kann ich das allein sein? Wen brauche ich? Möglicherweise ganz nah bei mir? Oder jemanden ein wenig weiter weg?

Noch mal: Richtig durchatmen. Einatmen, tief einatmen, den Atem anhalten und wieder ausatmen. Ganz ruhig werden. Immer wieder wiederholen.

Dann: Wo bin ich gerade in meinem Leben? Warum kann manches nicht schnell genug gehen? Oder warum geht alles so schnell? Sind es wirklich meine Gedanken, die mich führen, drängen, treiben, leiten? Sind es die Erfordernisse um mich herum? Warum will ich alles auf einmal oder doch möglichst schnell?

Kann ich den Moment genießen, das Glück spüren, mich der Freude hingeben? Kann ich auch das Leid verstehen und deuten? Warum ich? Oder warum gerade ich nicht?

Noch mal: Richtig durchatmen. Einatmen, tief einatmen, den Atem anhalten und wieder ausatmen. Ganz ruhig werden. Immer wieder wiederholen.

Mein Weg hat mich durch viele Straßen geführt. Als Kind habe ich die Hände der Größeren gehalten, bis ich selbst richtig zu laufen gelernt habe. Dann lief ich allein. Selten nehme ich noch jemanden an der Hand. Dabei, es wäre zuweilen ganz schön. Eine warme Hand in meiner, gerade im Winter. Gott hat mir Stabilität gegeben, durch mein Leben zu gehen. Es in die Hand zu nehmen, selbstbewusst, aufrecht und mit festem Blick. Und dafür zu sorgen, dass auch der Mensch neben mir, sich ebenfalls so entwickeln kann. Und für die zu sorgen, bei denen es eben nicht gelingt oder gelungen ist. Das nennt man Menschlichkeit. Das hat etwas mit Menschenrecht und Menschenwürde zu tun.

Und dazu kommt: darauf zu vertrauen, dass uns mit Christus jemand als Beispiel vorangegangen ist. Einer, der zeigt, wie alles gehen kann.

Zugegeben: Der früh gestorben ist. Aber: ist er auch gescheitert? Unser Hiersein heute bedeutet: Wir finden uns mit einem Scheitern nicht ab. Wir setzen seinen Weg fort. Das ist christlich. Deshalb feiern wir Weihnachten.

Ein letztes Mal: Richtig durchatmen. Einatmen, tief einatmen, den Atem anhalten und wieder ausatmen. Ganz ruhig werden. Immer wieder wiederholen.

Unterwegs ankommen. Station bei Gott machen. Nein: Gott macht Station bei uns. Mehr noch: Er bleibt, wenn wir ihm Zeit und Raum einräumen, damit sich Göttliches im Alltag ausbreiten kann und wir das Leben mit allen Höhen und Tiefen, ich betone, mit allen Höhen und Tiefen durchdringen können bis zum letzten Atemzug.

Immer unterwegs sein, heißt auch: immer ankommen. Vielleicht, weil wir Pilger durch das Leben sind. Wir sind nicht mal weg. Wir sind da.

Jetzt, hier und heute.