Philip Roth: Jedermann

"Jedermann“, 2006 erschienen, ist einer der letzten Romane von Philipp Roth, jenem amerikanischen Autoren, der 1969 mit Mitte dreißig durch seinen Roman „Portnoys Beschwerden“ unvermittelt ins Rampenlicht nicht nur Amerikas, sondern der literarischen Welt gestoßen wurde.

Überhaupt tragen die meisten Bücher von Philip Roth autobiographische Züge – so auch der Roman „Jedermann“. Er erzählt die Geschichte eines Lebens, wie es normaler nicht sein könnte – und das uns gerade darum in Bann zieht und berührt. Beginnend mit dem Tod des Protagonisten entfaltet sich dessen Vergangenheit – seine Arbeit als Designer in einer Werbeagentur, seine erste unglücklich verlaufende Ehe, der zwei ihm entfremdete Söhne entstammen, die Ehe mit der zweiten, der dritten Frau, die innige Beziehung zu Tochter Nancy, die ihm als einziges seiner Kinder nahesteht.

Er, der vieles falsch und einiges richtig gemacht hat, der liebte, begehrte, neidete und verzieh, und der sich schließlich in eine Einsamkeit manövriert hat, um deren Ursachen er selbst weiß, bleibt durch den ganzen Roman namenlos: er ist das allzu Menschliche par excellence. Und es ist der großen Kunst von Philip Roth geschuldet, dass uns diese Namenlosigkeit nicht auf Distanz hält, sondern im Gegenteil dem Protagonisten ganz nah kommen lässt.

Alice Munro: Ferne Verabredungen

Ich habe kein Talent zum Fan-Sein, aber wenn ich jemals ein Fan von jemandem sein würde, dann von Alice Munro. Sollten Sie sie noch nicht kennen: Sie haben wunderbare Entdeckungen vor sich! Sie werden eintauchen in die Lebensläufe von Frauen, irgendwo in Kanada, weit draußen auf dem Land und mitten in den Städten.

Sie werden ihnen bei ihren ersten Schritten in Richtung Emanzipation folgen, werden mit ihnen zurückblicken auf die Umbrüche in ihren Leben, auf die Männer, die Kinder, die Freundinnen, die sie hatten, Sie werden nach jeder der langen Kurzgeschichten, die so gehaltvoll wie kleine Romane sind, sie gleich nochmals lesen wollen, und Sie werden sich dabei die ganze Zeit fragen, wie Munro das macht: wie sie es hinbekommt, Sie so mitzunehmen in ihren Erzählkosmos, obwohl sie oft nur andeutet, Leerstellen lässt, wenig erklärt, nichts ausbuchstabiert.

Ich weiß nicht, wie oft ich meine Lieblingsgeschichte von ihr - „Der Bär kletterte über den Berg“ - gelesen habe, und immer noch ist mir nicht alles darin ganz klar geworden - es kann passieren, dass mir manchmal eine Überlegung dazu in den Kopf kommt, und dann lese ich sie nochmals und die Uneindeutigkeit bleibt, dabei geht es letztlich nur um eine lange Ehe, an deren Ende die Frau dement wird und sich so aus einer ebenso liebevollen wie unperfekten Beziehung löst.

Annette Mingels

Annette Mingels wurde 1971 in Köln geboren. Sie studierte Germanistik, Linguistik und Soziologie in Frankfurt, Köln, Bern und Fribourg und schloss mit einer Promotion in Germanistik ab.

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